Drahtauslöser

Ein Strauss Drahtauslöser –  ein Plädoyer für einfache Lösungen, Foto: Dr. Klaus Schörner

Drahtauslöser – 

ein Plädoyer für die einfachen Lösungen

Siebzig Jahre lang hat kaum ein Kamerahersteller darauf verzichtet, seinen anspruchsvollen Modellen einen Anschluss für den Drahtauslöser mitzugeben. Jenes Konstrukt aus einer Federstahl-Spirale und etwas Drahtseil mit dem Gewinde am einen Ende und dem Knöpfchen am andern, war mehr als ein Zubehör zum verwacklungsfreien Fotografieren. 

Der kleine Unterschied

Der Drahtauslöser stand für sorgfältige Bildgestaltung mit der Kamera auf dem Stativ. Und wie Letzteres war er damit ein Kennzeichen für den bewussten Prozess des Fotografierens mit Anspruch an die Qualität des Ergebnisses. Welcher Kamerahersteller hätte es gewagt, sich diesem Anspruch zu verschließen? Das kleine Gewinde für den Anschluss des Drahtauslösers wurde zum Kriterium der Unterscheidung zwischen Knipskamera und ernsthaftem Aufnahmegerät. Und so gab man dann auch mancher Knipse einen Anschluss, damit sie aussehen möge wie eine Große. Selbst, als in den 1990er Jahren mehr und mehr elektronisch gesteuerte Kameras auf den Markt drängten und neue Optionen für die  Fernauslösung mit sich brachten, trauten sich viele Hersteller zunächst nicht, bei ihren Kameras der gehobenen Klasse auf den kleinen mechanischen Anschluss zu verzichten. Wenn schon der Auslöseknopf mit dem Schraubgewinde in der Mitte durch die flache elektronische Taste abgelöst wurde, so sorgte man dann doch noch an irgendeiner Stelle der Kamera fast verschämt für die Möglichkeit, den klassischen Drahtauslöser anzuschrauben. Das muss man sich mal vorstellen: Ob am Objektiv, am Verschluss, am Auslöser oder am Kameragehäuse, seit den 1920er Jahren weltweit eine einheitliche  Anschlussnorm für das gleiche kleine Zubehörteil. Wir werden in der Geschichte der Fotografie nicht viele Dinge mit einer vergleichbaren Kontinuität finden. 

Der digitale Bruch

Und dann kamen die Digitalkameras, und fast alle brachen sie mit dieser Tradition und man konnte dieses kleine Stück Draht einfach nirgendwo mehr verwenden. Stattdessen gab es nun multiple Kabelauslöser, Funkauslöser, Infrarotauslöser, Bluetooth-Auslöser, WLAN-Steuerung, Steuer-Apps auf dem Smartphone und Tethered Shooting über den Computer. Viele gute und sinnvolle Dinge, die uns bis heute neue fotografische Möglichkeiten erschließen, aber auch viel Zeug dabei, das die technikverliebte Seite des Fotografen anspricht und vom reinen Bildermachen ablenkt. Ich habe das kleine Anschlussgewinde oft bei meinen digitalen Kameras vermisst. Immer dann, wenn es darum ging, etwas zu tun, wofür der Drahtauslöser mal erfunden wurde: Einfach und ohne viel Hantier eine neben mir auf dem Stativ befestigte Kamera verwacklungsfrei auslösen. Die Betonung liegt dabei auf dem Wörtchen "einfach". Es braucht nicht immer aufwändige Lösungen. Wenn die Batterien des Funkauslösers mal wieder leer sind, wenn der Infrarotauslöser nicht funktioniert, weil irgendwas zwischen Sender und Kamera im Weg ist, wenn mit dem Smartphone mal wieder keine Verbindung zur Kamera zustande kommt oder der falsche Kabelauslöser dabei ist, weil fast jede Kamera dafür einen andersartigen Anschluss hat, .... dann wünsche ich mir eine einfache Lösung, die ohne Schnickschnack einfach nur das tut, was sie soll. Und so toll das ist, die Kamera mit dem Rechner zu steuern und Sekunden später das Ergebnis am großen Monitor begutachten zu können ... ich brauche das nicht bei jedem Foto. 

Und da ist er wieder ... !

Wer hätte es gedacht? Mittlerweile gibt es unter  den aktuellen Digitalkameras wieder mehr Modelle, die mit einem Anschlussgewinde für den guten alten Drahtauslöser ausgestattet sind. Fast alle DSLM von FUJIFILM haben eines, bei NIKON gibt es auch wieder eine DSLR "mit", und die LEICA-Konstrukteure haben nie aufgehört, ihren M-Modellen eines mitzugeben. Man könnte meinen, es bewahrheitet sich die Regel, dass sich einfache, preiswerte Problemlöser, mit denen irgendjemand Geld verdienen kann, auf die Dauer durchsetzen. Und dass da nicht zuletzt auch angesichts der wieder steigenden Nachfrage nach analogen Kameras ein Markt ist, zeigt das breite Angebot von Drahtauslösern. Natürlich ist auch hier die technische Entwicklung nicht stehen geblieben. In den oberen Preisregionen ist der Drahtauslöser zum Hightech Tool geworden, mit rostfreier Stahlfederung und ergonomischem Formgriff, mit Leichtlaufmechanik, Kugelbremse für Langzeitbelichtungen und Kunststoffummantelung in knalligen Modefarben. Aber auch den guten Alten im schwarzen Textilschlauch gibt es noch. Und mir ist er der Liebste. Weil er klein und flexibel ist, in die Hemdentasche passt, an der Kamera kein sperriges Eigenleben entwickelt und nur hin und wieder mal ein Tröpfchen Öl braucht.

 

Copyright 2021 by Klaus Schörner / www.bonnescape.de

Icatrona 210 mit Drahtauslöser, Grossformatkamera 9x12 cm, Foto: Dr. Klaus Schörner

Die ICATRONA 210 von 1927 mit Drahtauslöser-Anschluss für lange Belichtungszeiten mit gering empfindlichen Fotoplatten.

Voigtländer Brillant, 6x6 analoges Mittelformat, Foto: Dr. Klaus Schörner

Die VOIGTLÄNDER Brillant I von 1932, für die ersten Rollfilme selbstverständlich "mit".

Ultrafex Bakelitkamera 6x9 cm, analoges Mittelformat, Foto: Dr. Klaus Schörner

Die ULTRA-FEX, Version 14 "Himalaya", aus dem Jahr 1952: Auch die französische Bakelit-Kamera hat einen.

Exakta VX mit Drahtauslöser, 1951, Foto: Dr. Klaus Schörner

Die EXAKTA VX, der Alleskönner aus den 1950er Jahren, undenkbar ohne den Drahtauslöser-Anschluss.

Voigtländer Cito CD mit Drahtauslöser, Foto: Dr. Klaus Schörner

Praktische Platzierung des Drahtauslösers unten am Auslöser bei der VOIGTLÄNDER Vito CD von 1961.

Leica M2 mit Drahtauslöser, Foto: Dr. Klaus Schörner

Ob analog oder digital, die M's gingen noch nie ohne: LEICA M2 von 1962.

Mamiya RB67 Pro S mit Drahtauslöser, Mittelformatkamera 6x7 cm, Foto: Dr. Klaus Schörner

Die MAMIYA RB67 Pro S von 1974 hat je nach Objektiv sogar zwei bis drei Anschlüsse.


Nikon F4 von 1988 mit Drahtauslöser, Foto: Dr. Klaus Schörner

Als würde man sich dessen schämen, hat man der 
fortschrittlichen NIKON F4 von 1988 noch einen
versteckten Anschluss mitgegeben.

Fujifilm GA645W mit Drahtauslöser, analoge Mittelformatkamera 4,5x6 cm, Foto: Dr. Klaus Schörner

FUJIFILM GA645 Prof. von 1995, die moderne,
elektronische Mittelformat-Kamera mit Autofokus
verzichtet keineswegs darauf.



Beiträge mit ähnlichen Themen:



Kommentar schreiben

Kommentare: 4
  • #1

    michabennemsi (Mittwoch, 24 März 2021 09:49)

    Ich verwende keine Drahtauslöser mehr, weil ich seit langem keine Kamera mehr habe, die einen Anschluss dafür hat. Das habe ich oft bedauert, denn die Probleme, die du beschreibst, kenne ich gut. Für viele Fotos ist ein Drahtauslöser absolut ausreichend. Jetzt habe ich eine D500 und brauche gar keine Fernauslöser mehr. Ich löse ohne Erschütterung über den Touchscreen aus. Tolle Kamerafotos!
    Liebe Grüße, Michael

  • #2

    Ele (Mittwoch, 12 Mai 2021 19:50)

    Ein abwechslungsreicher und informativer Block. Gefällt mir sehr. Solche Artikel mit Blick in die Geschichte mag ich, bekommt man selten zu lesen.
    Vielen Dank dafür und herzliche Grüße
    Ele

  • #3

    Klaus (admin) (Donnerstag, 13 Mai 2021 09:17)

    Danke! :-) Freut mich, wenn es gefällt.

  • #4

    Max (Mittwoch, 31 Mai 2023 12:07)

    Bei mir sind recht unterschiedliche Sachen zusammengekommen. Die GFX für die professionellen Einsätze, die kleine Sony für die Jackentasche, und die D750 für alles dazwischen. Und einige weitere digitale und analoge Cams liegen hier auch noch rum. Natürlich habe ich meine Kameras nicht danach gekauft, welchen Fernauslöseranschluss sie haben. Aber es nervt, dass ich für jede Kamera ein eigenes System z.T. mit eigener Stromquelle kaufen und ggflls. mitnehmen muss. Oft wünsche ich mir einen genormten simplen Immerdabei-Drahtauslöser, der für alles passt. Würde mir völlig ausreichen.