Die Sinnfrage des Fotografen

Ein ganz persönlicher Blick auf die Sinnfrage

Die Sinnfrage des Fotografen. Selfie mit NIKON D4 und Fragezeichen. Foto by Klaus Schoerner

Viele leidenschaftliche Fotografen gelangen irgendwann an den Punkt, an dem sie den Sinn ihrer Bemühungen in Frage stellen: Wen interessieren meine Fotos? Wofür mache ich das alles? Bei der Auftragsfotografie stellt sich diese Frage nicht, da geht es schlicht um profanen Broterwerb. Bei den freien Arbeiten ist das nicht so einfach. Je größer der technische, zeitliche, körperliche oder materielle Aufwand für ein Foto, desto eher stellen sich Zweifel ein. Wird mein Foto zu irgendetwas nutze sein oder lediglich als eine weitere Datei auf einer sowieso schon viel zu vollen Festplatte enden?

Das Problem kenne ich gut. Ich habe im Bereich meiner freien, künstlerischen Arbeiten die eine oder andere Schaffenskrise erlebt. In dem Maße, in dem ich für ein Foto Aufwand betreibe, frage ich mich manchmal, ob mein Engagement durch das Ergebnis gerechtfertigt ist. Was mache ich am Ende mit dem fertigen Bild? Ist es den Aufwand wert?

Wenn ich mir vor dem Fotografieren die Sinnfrage stelle, kann ich sofort wieder einpacken

Derartige Zweifel wirken sich auf meine Kreativität aus wie Gift und nehmen unmittelbar Einfluss auf das Bildergebnis, weil sie meine Motivation und das Streben nach Qualität abbremsen und allein dadurch das Fotografieren obsolet machen. Wenn ich vor einem Motiv stehe, ein Foto machen möchte und mir dann die Sinnfrage stelle, kann ich sofort wieder einpacken. Die Frage ist dann bereits die Antwort, die Lust zu fotografieren ist augenblicklich weg und es wird mir nicht gelingen, ein gutes Foto zu machen, was die ganze Angelegenheit dann noch unsinniger macht.

Ich bin zu der Ansicht gelangt, dass ich solche Gedanken verdrängen muss … oder aufhören muss, künstlerisch zu fotografieren. Ist es egoistisch, Fotos nicht zum eigenen Broterwerb, nicht zur ideellen Bereicherung Anderer, zum Nutzen der Gesellschaft und auch nicht absichtlich zur Weltverbesserung oder für irgendein anderes hehres Ziel zu machen? 

Die künstlerische Sinnfrage des Fotografen. Selfie mit NIKON D4

Ist es egoistisch, für mich selbst zu fotografieren?

Ich denke, nein. Kunst geht nicht ohne den Künstler, der neben seinen technischen und gestalterischen Skills auch unbewusst viel von dem einfließen lässt, was er erlebt hat und was ihn selbst ausmacht. Eine gehörige Portion Egozentrierung ist daher angemessen und wohl auch notwendig. Damit ein Foto überhaupt eine Chance hat, gut zu werden, versuche ich zunächst einmal nur für das Foto zu fotografieren. Und ich fotografiere auch für mich selbst, weil es mir Spaß bereitet, etwas zu erschaffen. Weil ich es liebe, mich mit der Fototechnik zu befassen und diese dafür einzusetzen, ein in meinen Augen ordentliches Bildergebnis zu erzielen. Weil Fotografieren auch ein gutes Stück weit meiner eigenen, ganz persönlichen Art entspricht, die Welt zu sehen und diese in abstrahierender Weise für mich selbst begreifbar zu machen. Was perfektionistische Qualen mit sich bringt, die ich auch sehr gut kenne. Aber das ist eine andere Geschichte.

Gelingt es mir, ein Bildergebnis zu erreichen, das meinem eigenen kritischen Blick standhält, kommt es in meine eigene kleine „Hall of Fame“ (man könnte auch sagen: "in die Pappschachtel mit den guten Vergrößerungen") und wird mit einiger Wahrscheinlichkeit auch anderen Menschen gefallen. Und ich werde glücklich sein, wenn sich das Foto später für irgendeinen Zweck nützlich erweist. Vielleicht mache ich auch irgendwann einen Bildband damit oder nehme an einem Wettbewerb oder einer Ausstellung teil. Vielleicht auch nicht.

Kurz: Ich versuche bei meinen freien Arbeiten zweckbefreit zu fotografieren. Erst die Zweckbefreiung verschafft dem Foto Eigenständigkeit. Der Zweck, wenn wir überhaupt von einem sprechen wollen, ist das Foto selbst oder allenfalls noch der Spaß, den mir persönlich die Beschäftigung damit bereitet. 

Freude am Foto oder am Fotografieren?

... oder anders ausgedrückt: Wenn der Spaß am Hantieren mit Fotogeräten wichtiger wird als das Ergebnis des Fotografierens. Angesichts eines unübersehbar umfangreichen und sich ständig mit Neuvorstellungen überschlagenden Angebotes an Kameras, Objektiven und Zubehör kann sich der Interessenschwerpunkt des Fotobegeisterten leicht verschieben. In einschlägigen englisch-sprachigen Foren wird diese Erscheinung Gear Disease oder auch GAS (Gear Acquisition Syndrome) genannt. Kennzeichnend für diese unter Fotografen augenzwinkernd als krankhaft angesehene Entwicklung ist das Streben des Fotografen nach immer neuen, vermeintlich besseren Ausrüstungsgegenständen, ohne dass dieses noch in einem adäquaten Verhältnis zum fotografischen Einsatz der betreffenden Gerätschaften stünde. 

Der Fotograf verwendet dann viel mehr Zeit darauf, sich mit dem Analysieren, Testen, Vergleichen, Diskutieren und dem Erwerb von neuen Fotogeräten zu beschäftigen, als mit seiner bereits vorhanden Ausrüstung fotografieren zu gehen. GAS verändert den Fokus. Im Vordergrund steht nicht mehr länger das Foto, sondern der technikverliebte Umgang mit den Geräten. Im "Endstadium" werden dann nur noch Geräte gesammelt und gar nicht mehr zum Fotografieren verwendet.

Und Spaß beiseite: Ich kenne ehemals engagierte Fotografen, die heute nur noch von ihrer fototechnischen Begeisterung getrieben werden und kein einziges gutes Foto mehr produzieren. Ich selbst bin da auch nicht ganz immun: Unvergessen ist mein vor etwa 8 Jahren erworbenes, wunderschönes 75er GRANDAGON-N für die SINAR, mit dem ich - ich muss es zu meiner Schande gestehen - bis zum heutigen Tag KEIN EINZIGES FOTO gemacht habe.  😔

In diesem Sinne meine Empfehlung zum morgigen Sonntag: Geht raus fotografieren und habt Spaß dabei!  Ich mache das jetzt auch und vielleicht nehme ich sogar das GRANDAGON mit. 😁 Euch allen ein schönes Wochenende!

Copyright 2017 by Klaus Schörner / www.bonnescape.de


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Kommentare: 3
  • #1

    Heiko Schulz (Samstag, 22 April 2017 20:24)

    Hallo Klaus,

    Ja, ich kenne diese Gedanken genau. Da sitzt man lange an einem Bild, das einem wirklich toll gefällt und das es lohnt, dann noch vorsichtig zu optimieren oder dem eigenen Gefühl zur Situation noch anzupassen. Eine Aktion, die für mich fast unbedingt dazu gehört. Dann bin ich fertig ... oftmals schon verbunden mit einer gewissen Selbstverliebtheit zu dem Ergebnis. Es steckt ja so viel Liebe und Gefühl darin. Dann folgt die Veröffentlichung ... und keinen interessiert es bei all der Flut bei meinem Forum. Oder ich merke, dass Interesse oftmals nicht ehrlich ist, sondern ein Erwidern oder gar Haschen nach eigenen Anmerkungen. Und dann passiert das eigentlich Unglaubliche: Ich beginne selbst mein Bild nach dem Interesse anderer zu bewerten. Zack! In die Falle gelaufen. Für wen machte ich das? Du hast das gut thematisiert. Und das Ergebnis ist doch eigentlich einfach ... bei einem Auftrag ist es für den Kunden, mit dem Anspruch dass es ihm gefällt - und im optimalen Fall dem Fotografen auch - der Anspruch ist berechtigt, aber vielleicht nicht immer zu bewerkstelligen. Die anderen, eigenen Bilder aber haben keinen Kunden. Also gilt es da auch niemanden zufrieden stellen zu müssen. Fertig. Der einzige der dann zählt bin ich, der Fotograf und Bearbeiter. Es ist dieser Moment, bei dem ich mir sage, fertig, DAS ist es jetzt. Und das sollte es dann auch erstmal bleiben. Ja, und wenn es dann wirklich jemandem gefällt, ist es schön und macht zusätzlich Freude. Aber das darf keine Abhängigkeit sein. Sonst wird die Sache fade und verschleiert. Und irgendwann gibt man genervt auf. Das ist dann aber der eigene Nerv, der da getriggert wird. Ein immer wieder spannendes Selbsterfahrungsübungsfeld. Es ist gut, sich augenzwinkernd immer mal wieder zu hinterfragen. ;o)

    Über das Gear Acquisition Syndrome musste ich schmunzeln. Das ist ja nicht nur beim Fotografieren der Fall. Auch bei der Musik ... beim Angeln ... beim Minigolfen. Überall, wo mit dem Anspruch auf "Professionalität" an die Sache gegangen wird. Aber eins steht für mich schon fest: Das Equipment muss nicht immer technisch auf dem neuesten Stand sein, aber es sollte zumindest gut sein, um nicht an den vorhandenen eigenen Möglichkeiten zu scheitern. Aber das ist dann auch Entwicklung. Wenn es klar ist, dass das Fotografieren, wie auch die Musik, nicht eine vorübergehende Interessenerscheinung ist, dann sollte das Interesse nicht durch Ausrüstung geschwächt werden, bei dem man keine adäquaten Ergebnisse erhält.

    Ich wünsche Deinem Grandagon jetzt die ersten guten Bilder und muss jetzt erstmal googeln, was das überhaupt ist. :o)

    Grüße aus Hannover, Heiko, der weiterhin gespannt auf Deine Gedanken und Infos zur und über die Fotografie ist.

  • #2

    Renzo Dohm (Mittwoch, 16 Januar 2019 21:49)

    Das ist so eine Sache mit der Sinnkrise. Gewiss, ein Hobby betreibt man zum eigenen Vergnügen, aber dieses Vergnügen darin zu finden, vom Urteil Anderer unabhängig zu sein oder wenigstens zu werden und nur für sich selbst zu wirken, das klappt selten. Zunächst scheint das für innere Stärke, für gesundes Selbstbewusstsein zu sprechen und für die sinnvolle Gestaltung einer zweckfreien Zerstreuung. Sind wir aber ehrlich, so sind wir niemals und nirgendwo ganz unabhängig vom Urteil unserer Mitmenschen. Wir suchen alle Bestätigung. Jedem Künstler wird am Anfang geraten, seinen eigenen Stil zu finden und sich nicht für den Lohn der Bewunderung zu prostituieren. Und jeder Künstler träumt davon, einmal von dem leben zu können, was er produzieren möchte, und nicht länger das produzieren zu müssen, wovon er leben kann. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die meisten Künstler, die dieses Stadium erreichen, an Klasse einbüßen. Schriftsteller, die so berühmt geworden sind, dass ihnen kein Lektor mehr reinreden darf, schreiben meist ungenießbare Bücher. Ein Kunstwerk ganz ohne äußeren Druck herzustellen, ohne Zwang zum Kompromiss, ohne Orientierung am Gefallen Anderer, das mag bei der Anfertigung befriedigender sein. Doch die wenigsten großen Werke sind in einer solchen Atmosphäre entstanden.

    Zum Thema GAS hier noch ein interessanter Erfahrungsbericht:
    https://lucidorium.wordpress.com/2013/07/18/gestandnisse-eines-ehemaligen-ausrustungssuchtigen/

  • #3

    Lars Hoffmann (Montag, 19 Juli 2021 09:31)

    Ich zitiere mal den allseits gut bekannten Fotografen Michael Kenna (a.d.Engl.): „Fotos zu machen ist nicht das Wichtigste. Für mich ist es der Akt des Fotografierens. Es ist aufschlussreich, therapeutisch und befriedigend, denn der Prozess zwingt mich, mich mit der Welt zu verbinden."
    (https://kenleephotography.wordpress.com/2012/01/06/featured-quote-michael-kenna-on-the-act-of-photography-connecting-us-to-the-world/).
    Kann man so sehen, oder? Und er hat sicher kein schlechtes Gewissen dabei und kommt trotzdem zu guten Bildern.