Bildbesprechung / Foto des Monats

Bildbesprechung / Foto des Monats

Reisefotografie: Liebevolle Szene einer Mutter mit ihrer kleinen Tochter als Doppelportrait. LEICA M9 mit 2,0/50 mm Summicron. Foto und Copyright 2013 by Dr. Klaus Schoerner

Bildbeschreibung und Aufnahmesituation

Liebevoll und geduldig blickt die Frau auf ihre kleine Tochter, die gerade nicht so möchte wie ihre Mutter. Der gesenkte Blick des Kindes und das fest umklammerte Päckchen zeigen, dass sie nicht gehorchen will. Viel lieber möchte sie das Päckchen, ein in ein Bananenblatt gewickeltes Stück Klebreiskuchen, in der Hand behalten.

Ein glücklicher Schnappschuss eines sehr innigen Moments zwischen Mutter und Tochter, der Zärtlichkeit, Liebe, Vertrauen und Behütetsein ausdrückt. Trotz des dezenten Auslösegeräuschs der M9 war nur ein einziges Foto (und später noch ein weiteres von dem Kind alleine) möglich. Jedes Aufnahmegewitter der Kamera hätte die beiden zu einer Reaktion in meine Richtung veranlasst und die fast weltentrückte Zweisamkeit schlagartig beendet. 

Das Foto bietet eine Leserichtung an, der man sich nur schwer entziehen kann. Das niedliche Gesicht der Kleinen ist der eyecatcher. Die geschlossenen Augen lassen den Blick des Betrachters aber nur kurze Zeit verweilen. Die weichen Grauverläufe im Hintergrund bieten dem Auge keinen Halt, so dass der Blick zur kontrastreichen linken Bildhälfte schwenkt und erst dann zum wichtigsten Teil des Fotos gelangt, dem Gesicht der Mutter. Die geringe Schärfentiefe des 50er Summicron bei fast offener Blende erlaubte es, die maximale Bildschärfe auf die linke Wange und das Auge der Mutter zu legen, während der Rest des Bildes weicher gezeichnet wird, ohne vor dem Bokeh des Hintergrunds wirklich unscharf zu wirken.

Aufnahmetechnik und Nachbearbeitung

Die Bildaussage lebt von diesem Schärfeverlauf. Die LEICA Messsucherkamera war geradezu prädestiniert dafür, das Motiv so einzufangen. Ich kenne neben dem Summicron nur sehr wenige 50 mm Objektive, die bei offener Blende eine ähnlich hohe Schärfeleistung bringen und diese mit minimaler Schärfentiefe und weich fließendem Bokeh kombinieren, während der Messsucher die präzise Platzierung der Schärfe auf den Punkt ermöglicht. An einer anderen Kamera hätte ich dazu wahrscheinlich eine 80er Telebrennweite gewählt. Diese hätte die Bildperspektive aber zu stark verdichtet und vor allem den Hintergrund verändert, und ich hätte den Abstand zum Motiv erhöhen müssen, was aus räumlichen Gründen problematisch war. Ein weiteres Problem ergab sich aus der Gegenlichtsituation: Da die Aufnahme sehr schnell erfolgen musste und neben der Fokussierung keine Zeit mehr blieb für eine manuelle Korrektur der Belichtungsautomatik, sind die Personen im unbearbeiteten Originalfoto zu dunkel wiedergegeben. Ich habe das Foto daher zunächst als Ausschuss verworfen. Bei einer erneuten Durchsicht und einer Belichtungskorrektur mit Lightroom war ich überrascht, welche ungeheuren Tonwertreserven das DNG-Dateiformat bereit hält, so dass am Ende ein TIF mit komplettem Tonwertspektrum ausgegeben werden konnte. Die farbige Version des Fotos ist durchaus ansprechend, die Buntheit lenkt meiner Ansicht nach aber etwas von der Bildaussage ab. Zudem geht die erforderliche Kontrastanhebung in den Tiefen mit einer unnatürlichen Intensivierung der Farben einher. Ich habe mich daher zunächst für eine Version mit um 50% entsättigten Farben und schließlich für reines Schwarzweiß entschieden. Ich finde, dass das Bild dadurch noch ikonischer wirkt.

Warum mir dieses Foto wichtig ist ...

Die Frau ist mit dem Jilbab bekleidet, einer von Frauen in strenggläubig islamischen Kreisen getragenen Kopfbedeckung, die bis auf die Brust herunterreicht und nur das Gesicht freilässt. Dass die Frau eine Muslimin ist, spielt für die Primäraussage des Fotos eigentlich nur eine untergeordnete Rolle. Dennoch rückt dieser Umstand bei Fotos wie diesem gerade in der heutigen Zeit in den Vordergrund. Tagtäglich werden wir hierzulande mit einer Flut von Bildern konfrontiert, die Symbole des Islam mit vom Krieg verwüsteten Städten, Greueltaten, Terrorgefahr, leidenden Menschen und Zuwanderungsproblematik in Verbindung bringen. Wir werden dabei durch eine sehr einseitige Bildsprache beeinflusst, die Ängste fördert und Ablehnung provoziert. Iallgemeinen Verständnis ist bei uns insbesondere die Kopfbedeckung der Frauen ein viel zitiertes Symbol des Islam. Bei dem vorliegenden Doppelportrait von Mutter und Tochter ist dieses Symbol Bestandteil einer friedlichen, sehr menschlichen Szene, die daran erinnert, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist.

Das Doppelportrait in der Detailansicht 100% zeigt die hohe punktuelle Schärfeleistung des 50mm Summicron an der LEICA M9. Foto: Klaus Schoerner

Oben: Die Bildausschnitte in 100% Ansicht zeigen die extrem hohe Schärfeleistung des Summicron, während die fast offene Blende eine sehr geringe Schärfentiefe produziert, die es erlaubt, die bildwichtigen Details mit einer präzise platzierten partiellen Schärfe hervorzuheben.

Reisefotografie: Portrait eines kleinen Mädchens, Java. LEICA M9 mit 2,0/50 mm Summicron. Foto und Copyright 2013 by Dr. Klaus Schoerner

Oben: Gewonnen! Die Kleine durfte das Päckchen behalten. :-)

Copyright 2017 by Klaus Schörner / www.bonnescape.de


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Kommentare: 3
  • #1

    Ray (Donnerstag, 26 Oktober 2017 20:58)

    Can't read German but love the pic :-)

  • #2

    Canonist (Montag, 18 Dezember 2017 17:39)

    Sensationelles Bild!

  • #3

    Lydia (Mittwoch, 07 Juli 2021)

    Die Leica-Objektive scheinen die besten zu sein. Auch der warme, satte Farbton ist sehr angenehm. Da stimmt einfach alles. Selbst die Samsung-Handys haben die beste Bildqualität, da sie mit Leica-Linsen arbeiten.
    Ich denke, wir können vom Islam eine Menge lernen: Kinder statt Maschinen!